Dienstag, 7. Dezember 2004

2 Molotow-Cocktails, Strafanzeige, Bericht, Verfügung

Molotow Cocktail Im spanischen Bürgerkrieg wurden mit Benzin gefüllte Flaschen erstmals als Waffen eingesetzt. Im dem Ribbentrop-Mototow-Abkommen (Hitler-Stalin-Pakt) folgenden Krieg der Sowjetunion gegen Finnland wurden Benzin-Bomben erstmals in Massenfertigung hergestellt und von finnischen Soldaten liebevoll als "Molotov-Cocktails" bezeichnet. Im Aufstand des Warschauer Ghettos gelang es mit Hilfe selbstgefertigter Brandbomben, deutsche Panzer zu stoppen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der deutsche "Volkssturm" mit der Endkampf-Waffe "Brandflasche" ausgerüstet. Zu Beginn des Jahres 1968 begeisterte der von Holger Meins gedrehte Film "Herstellung eines Molotow-Cocktails" die deutschen Studenten und der Term "Molotow-Cocktail" zog endgültig in den deutschen Wort-"Schatz" ein. Wer heute in Deutschland den Volkswillen am Werk sieht, phantasiert von "Molotow-Cocktails" und hält diese Waffe für eine Erfindung des russischen Revoltionärs Vyacheslav Mikhaylovich Molotov (Вячесла́в Миха́йлович Мо́лотов) -- denn "ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben" (TWA, Minima Moralia).

So befindet sich (gemäß deutscher Sprache) die "Panzerfaust" im Iraq im permanenten Einsatz gegen "eingedrungene" amerikanische Truppen und wenn Islam-Terroristen in Berlin ein Attentat vorbereiten, so beabsichtigen sie (laut Berliner Morgenpost) einen "Angriff" per "Molotow-Cocktail" -- auch wenn das frei erfunden ist. Einen (anderen) Einsatz von zwei Brandbomben im Namen des Volkswillens in der Nacht vom 1938-11-07 auf den 1938-11-08 -- in Marburg, Kassel und Magdeburg fand der "Probelauf" für die Synagogenbrandstiftungen (November-Pogrome) vom 1938-11-09 / 1938-11-10 statt -- dokumentiert das im folgenden zitierte "Blatt 30" aus der Prozeßakte 2 Kls 42/47 des LG Marburg:

Der Oberbürgermeister
als Ortspolizeibehörde
(Name der Polizeiverwaltung)
Kriminalabteilung
(Besondere Bezeichnung der Dienststelle)
Geschäftszeichen: 2397/38
Anruf 3201 - 05

Strafanzeige

Tatort: Marburg/Lahn
AG-Bezirk: dto.
Tatzeit: Nacht zum 8.11.1938
Strafbare Handlung: Vorsätzliche Sachbeschädigung §30[?] RStGB.
Geschädigt: Israelische Kultusgemeinde Marburg
Beschuldigt (Täter und Beteiligte): [...] Unbekannt
[...]
Gegenstand: Zertrümmerung von Fensterscheiben durch Steinwurf.
Wert: Höhe des Schadens: 50 - 60 RM.

[...] Marburg/Lahn, d. 8.11.1938
(Dienststelle) (Datum)

Spurensuche hat stattgefunden - Spuren sind nicht gefunden.

[Unterschrift: Matthai] Kriminal-Oberassistent
(Name und Dienstbezeichnung)

Marburg/Lahn am 8.11.1938

Der Kaufmann Samuel Bacharach [geboren] am 9. im Februar 1879 in Neustadt, Krs. Marburg/Lahn [wohnhaft] in Marburg, Barfüssertor 15 [..] zeigt an:

Ich bin am 8.11.1938/morgens gegen 7.00 Uhr zur Synagoge gegangen. Nach Schluß des Gottesdienstes stellte ich fest, dass in der Synagoge ein Fenster unten beschädigt war. Beim herzu#gehen stellte ich weiter fest, dass bei den oberen grossen Fenstern verschiedene Löcher waren. Es ist mir erzählt worden, dass sich Steine in der Synagoge befanden. Ausserdem bemerkte ich beim Verlassen der Synagoge bezw. des Schulzimmers intensiven Benzingeruch.

Bericht!

Die Feststellungen am Tatort ergaben, dass in der Nacht zum 8. November 1938 durch unbekannte Täter 9 Scheiben der in der Universitätsstrasse gelegenen Synagoge durch Steinwürfe zertrümmert worden waren. Die Steine lagen teils im Betsaal der Synagoge und teils im Vorgaten. Ausserdem fanden sich an der südöstlichen Giebelseite des Gebäudes und zwar in unmittelbarer Nähe des Fensters zum Heizungskeller, die Überreste zweier Weinflaschen vor. Offensichtlich waren diese beiden Flaschen mit einer Flüssigkeit gefüllt, mit Papier und Lumpen verkorkt und an der fraglichen Stelle zur Entzündung gebracht worden. Die Anzeichen sprechen für eine Explosion geringen Umfangs, bezw. geringer Wirkung. Beschädigungen des Gebäudes sind, ausser einer Schwärzung der Mauerteile, nicht vorhanden.

Kriminalistisch verwertbare Tatortspuren sind nicht vorhanden, die Nachforschungen nach den Tätern waren bis jetzt erfolglos.

Seitens der Geschädigten besteht kein Interesse an einer evtl. Strafverfolgung, insbesondere wird Strafantrag nicht gestellt.

[Unterschrift: Matthai]
Kriminal-Oberassistent.

Verfügung!

1) Abschrift fertigen und absenden
a. dem Herrn Regierungspräsidenten in Kassel.
b. der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Kassel.
2) Wiedervorlage bei Kripo zwecks weiterer Ermittlungen.

Marburg/Lahn, [...]

Der Oberbürgermeister
als Ortspolizeibehörde
[Unterschrift: "J.T."]

Addendum: Die Marburger Synagoge in der Universitätsstraße 11 wurde "erfolgreich" am 1938-11-10 um ca. 5:30 Uhr in Brand gesetzt -- nach dem "gescheiterten" Anschlag mit "Molotow-Cocktails" dieses mal mit Hilfe von zwei Kanistern Brandbeschleuniger, die im Keller ("Material-Lager" der Marburger SA) des sogenannten "Landgrafen-Hauses" für diesen Zweck bereitgestellt wurden.

See also: Fotobericht Synagogen in Marburg und 77.000 Marburger gedenken der Novemberpogrome

Veröffentlicht am Dienstag den 7. Dezember 2004 um 16:18 Uhr - nach oben | check xhtml
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