An den
Oberbürgermeister der Stadt Marburg
Herrn Dietrich Möller
per Fax 06421/201-591
Sehr geehrter Herr Möller,
wie ihnen aufgrund ihrer persönlichen Kontakte zur "Kameradschaft Marburger Jäger" sicherlich längst bekannt sein dürfte, beabsichtigt die mit der KMJ teilweise personenidentische "Fördergemeinschaft für Soldatenverbände" am 12. September 1997 um 16 Uhr einen "Protest"-Aufmarsch vor der Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" in der Biegenstraße. Herr Eicke Erdel, Burschenschaftler in der Verbindung "Normannia" (Barfüßertor) kündigte diese Veranstaltung gegenüber dem Höhrsaalgebäude öffentlich bereits in der Juli-Ausgabe der Monatsschrift "Nation und Europa" an, von der es im Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Inneren von 1996 heißt: "Die Zeitschrift ist mit einer Auflagenhöhe von ca. 15.000 eine der auflagenstärksten Publikationen im rechtsextremistischen Spektrum und besitzt als Strategie- und Theorieorgan Bedeutung. Ein ständig wiederkehrendes Thema ist die Forderung nach der Einigung aller 'rechten Kräfte', um die Zersplitterung des rechtsextremistischen Lagers zu beenden." (Seite 148)
Wie ihnen eventuell auch schon bekannt ist, werden seit 9. August 1997 große Mengen Aufkleber von unbekannten in der Marburger (Ober-) Stadt angebracht, auf denen die faschistische Wehrmacht als "beste Truppe der Welt" bezeichnet wird. Neben Universitätsstraße, Gutenbergstraße, Rudolfsplatz, Jägerstraße, Pilgrimstein, Biegenstraße, Barfüßerstraße, Neustadt u.a. wurden diese schwarz-weiß-roten-farbenen Machwerke auch schon direkt vor Ihren Dienststellen in Aulgasse und Markt gesehen. Verantwortlich zeichnet auf diesen Klebern ein "Peter Dehoust", laut Verfassungsschutzbericht 1996 (Seite 147) der Herausgeber von "Nation und Europa".
Am 1. März 1997 fand anläßlich der Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" in München ein Aufmarsch von 6000 Faschisten unter dem Motto "Unsere Großväter waren keine Verbrecher" statt, für eine Teilnahme wurde auch damals in der Zeitschrift "Nation und Europa" geworben, unbestätigten Gerüchten zufolge nahmen an der Münchener Demonstration auch Marburger Burschenschaftler teil. Unseren Informationen zur Folge, wurde bisher bei der Stadt Marburg für den 14. September 1997 keinerlei Demonstration nach § 14 Absatz 1 Versammlungsgesetz angemeldet. Zudem ist uns bisher nichts über Tätigkeiten der Staatsanwaltschaft bekannt geworden, die dem braunen Spuk einen Riegel vorschieben könnten, wie Ermittlungen nach § 130 StGB, § 189 StGB oder sogar § 109 d StGB.
Aus all diesen Gründen sehen wir uns leider gezwungen, hiermit eine Demonstration gemäß VersG bei Ihnen als zuständige Behörde für Sonntag den 14. September 1997 um 15:45 Uhr ab Ecke Biegenstraße/Savignystraße anzumelden. Gegenstand des Aufzugs wird die Forderung "Kein Naziaufmarsch - Vorwärts mit der biologischen Entnazifizierung der Wehrmacht" sein. Aufgrund der der beschriebenen Situation innewohnenden Dynamik haben Sie bitte Verständnis dafür, daß wir Ihnen vorerst keinerlei Angaben zu Umfang und Ablauf der Demonstration machen können, wir werden ihnen diesbezügliche Angaben jedoch rechtzeitig mitteilen und sind auch zu einem mündlichen Erörterungstermin mit Ihnen bereit, da wir an einem ordnungsgemäßen und friedlichen Verlauf des Aufzuges interessiert sind und Übergriffe durch Neonazis und/oder Burschenschaftler auf jeden Fall vermeiden wollen. Bedingt durch die auch juristisch komplexe und sensible Materie würden wir grundsätzlich eine schriftliche Abstimmung mit Ihnen bezüglich der Details bevorzugen, da dies eine eventuelle verwaltungsgerichtliche Klärung von Streitfragen enorm erleichtern würde.
Da unser Vorgehen bisher noch nicht mit anderen antifaschistischen Kräften Marburgs abgestimmt ist, wir auch über eine bundesweite Mobilisierung zu unserer Demonstration nachdenken und das Stattfinden der Veranstaltung überhaupt ursächlich mit unserem Einschreiten gegen Naziaktivitäten in Marburg im Zusammenhang steht, erwarten wir in den nächsten Wochen u.U. organisatorische Umstellungen in Bezug auf die Person gem. § 14 Abs. 2 VersG, Modifikationen am Zeitpunkt oder sogar einen völligen Verzicht auf die Veranstaltung unsererseits.
Wir hoffen, Sie freuen sich über diese so frühzeitige Anmeldung und bitten, von Rückfragen per Fax abzusehen.
Vielen Dank schon jetzt für Ihre Mühen,
in Hoffnung auf eine fruchtbare Zusammenarbeit
(Heinrich Kordewiner, 1. Vorsitzender)
Die Ordnungsbehörde der Stadt Marburg hat jetzt drei für den kommenden Sonntag im Zusammenhang mit der Wehrmachtsausstellung geplante Demonstrationen verboten. [Die] 'Marburger Vereinigung der Opfer des Stalinismusvorwurfs (in Gründung)' [hatte] eine Demonstration unter dem Motto 'Kein Naziaufmarsch - Vorwärts mit der biologischen Entnazifizierung der Wehrmacht' beantragt [...], war gestern telefonisch jedoch nicht zu erreichen. Nach Auskunft des Marburger Amtsgerichtes gibt es keinen Antrag der angeblich in Gründung befindlichen Vereinigung auf Eintragung ins Vereinsregister.
(Quelle: Oberhessische Presse vom 10.09.97)
An die
Oberhessische Presse
z.Hd. Herrn Thomas Jäger
per Fax
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Veröffentlichung des Mottos der von uns für Sonntag den 14. September 1997 um 15:45 Uhr geplanten Demonstration ab Ecke Biegenstraße/Savignystraße ("Kein Naziaufmarsch - Vorwärts mit der biologischen Entnazifizierung der Wehrmacht"). Bezüglich der von Ihnen in der heutigen Ausgabe der Oberhessischen Zeitung angesprochenen Eintragung unserer Vereinigung in das Vereinsregister können wir Ihnen mitteilen, daß diese erst im Rahmen unserer geplanten Festivitäten zum 53/54ten Jahrestag der erfolgreichen Bombadierung des braunen Provinznestes Marburgs durch Anti-Hitler-Verbände am 22. Februar 1944 und 22. Februar 1945 beabsichtigt ist. Sie erhalten selbstverständlich frühzeitig vor dem 22.2.1998 genauere Mitteilungen von uns.
Des weiteren möchten wir Ihnen mitteilen, daß unsere Vereinigung inzwischen 114 Aufkleber "Wehrmacht - Die beste Truppe" von Marburger Laternenmasten etc. entfernt hat und alle Marburger Bürgerinnen und Bürger weiterhin um tatkräftige Mithilfe bittet. Inzwischen wurden uns auch die Namen einzelner Marburger Nazis zugetragen, die an der nächtlichen Verbreitung dieser Machwerke teilnehmen. Wir prüfen derzeit strafrechtliche und/oder privatrechtliche Maßnahmen gegen diesen Personenkreis.
Wir bitten, von Rückfragen per Fax abzusehen.
Vielen Dank schon jetzt für Ihre Mühen,
in Hoffnung auf eine fruchtbare Zusammenarbeit
(Heinrich Kordewiner, 1. Vorsitzender)
Veröffentlicht am Sonntag den 17. August 1997 um 13:38 Uhr - nach oben | check xhtmlNachschlag zur Eröffnung
Wehrmachtsausstellung: Drei Verletzte bei DemonstrationenDrei Verletzte und zwei Festnahmen verzeichnete die Polizeidirektion Marburg am Sonntagnachmittag nach gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Wehrmachtsausstellung. Ein weiterer Demonstrant wurde in polizeilichen Gewahrsam genommen. Unter den Verletzten waren der Rechtsextreme Manfred Roeder aus Schwarzenborn, der zu einer Mahnwache gegen angebliche Fälschungen aufgerufen hatte, sowie Roy Godenau aus Gilserberg, Initiator einer Flugblattaktion gegen die Dokumentation. Wie Polizeisprecher Reiner Keim mitteilte, waren die Rechtsextremen von Autonomen mit Schlagstöcken angegriffen worden, noch bevor die Kundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des "Republikanischen Hochschulverbandes" am Ehrenmal für die gefallenen Studenten in der Biegenstraße begonnen hatten. Die "Republikaner" verlegten ihre Veranstaltung daraufhin vor das Ernst-von-Hülsen-Haus.
Rund 500 Polizeibeamte konnten weitere Ausschreitungen verhindern, als etwa 50 Rechtsextreme der "Sauerländer Aktionsfront" auf die von etwa 350 Personen besuchte Gegenkundgebung des DGB losmarschieren versuchte. Nach Polizeiangaben wurden die Personalien der Rechtsradikalen festgestellt, nachdem die Polizei die Gruppe in Richtung Weidenhausen abgedrängt hatte. Dort waren zuvor eins der Fahrzeuge, mit denen die Rechtsradikalen angereist waren, in Brand gesetzt und fünf weitere beschädigt worden. Das Verwaltungsgericht Gießen hatte am Freitag die Demonstrationen genehmigt, nachdem die Stadt Marburg zuvor sämtliche Kundgebungen verboten hatte. Oberbürgermeister Dietrich Möller bedauerte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts angesichts der seines Achtens "vorhersehbaren Ausschreitungen". GiR
Gestern noch in der Geisterbahn, heute Verblüffung über kaputtes Auto: "Sauerländische Aktionsfront" Foto: RiL(Quelle: Marburger Magazin Express 38/97 vom 19.09.97)